Der Tag, an dem mein Mitbewohner ins Spülbecken schiss



Kennt dieses Gefühl nicht jeder von uns? Man steht in der Küche, ist leicht enthemmt von dem immer noch anhaltenden Drogencocktail, der einen schon die ganze Nacht wach gehalten hat, und dann lässt man einfach los, auf dass die Würste ins ranzige Edelstahlbecken purzeln. 


Es war in den Tagen, in denen ich mit ein paar Freunden in dieser Wohnung am Hubertusplatz wohnte, die wir liebevoll das Rattenloch nannten. Wieviele Menschen genau zu dieser Zeit dort wohnten, kann ich nicht mit Gewissheit sagen, weil andauernd jemand anderes aus- und wieder einzog. Außerdem hatten wir ständig Besuch, was früher oder später einfach in einem anhaltenden Besäufnis enden musste. Kaum war man wieder auf den Beinen, standen schon die nächsten vor der Tür. Dementsprechend fühlte sich auch niemand so richtig verantwortlich, was die Sauberkeit betraf. Überall stank es nach Bier, Kippe und Bong. Der Schimmel kroch die feuchten Wände nach oben. Alles versank im Chaos.

Unsere verdammt geräumige Küche – sie war wirklich der mit Abstand größte Raum in unserer 5-Zimmer-Wohnung – war überschwemmt von leeren Bierflaschen Marke Bergadler. Das war damals das einzige Bier im Lidl, das es in Glas- und nicht in Plasikflaschen gab. Der Lidl war zwar direkt nebenan, aber irgendwie schaffte es niemand von uns, die Pfandflaschen wieder abzugeben. Wir hatten meist nur eines im Kopf: noch mehr trinken. Und so gingen wir erwartungsvoll nach drüben, stolz darauf daran gedacht zu haben Hosen anzuziehen und Geld einzustecken.

Wir standen damals total drauf uns Bier auf ex reinzuziehen, um uns noch schneller umzuballern; auch um uns so etwas wie ein heiliges Ritual im Suff zu bewahren. An manch warmen Sommertag tranken wir auch gerne mal gekühlten Weißwein auf ex – die lustigere und effizientere Art, um sich gepflegt umzuschießen. Wir nahmen dazu etwas Billigwein und schütteten ihn in kleine Töpfe – eine Flasche pro Topf – und stürzten das Ding hinunter. Es ist sehr erfrischend und geht leichter hinter als Bier. Man muss auch kaum aufstoßen und man merkt buchstäblich wie einem der Alkohol unmittelbar zu Kopf steigt. Wellen der Euphorie breiten sich in deinem Bauch aus und krabbeln langsam nach oben und wenn sie den Kopf erreicht haben, muss man unweigerlich anfangen zu lachen – so schön wie es ist, denn man ist schlagartig besoffen. Wenn man dann noch eine Bong dazu raucht, zieht's einem direkt die Beine unter dem Arsch weg. Und so kann man seinen Montagnachmittag auf wunderbare Weise versüßen. 


Welchen Tag wir damals hatten, weiß ich nicht mehr, auch nicht ob wir uns vorher einen Wein auf ex reingezogen hatten. Es waren halt die großen Tage des Bongrauchens, die in der Erinnerung zu einem einzigen zusammenschmelzen. Ich weiß aber auf jeden Fall, dass wir damals diesen Zehn-Wochen-Plan durchziehen wollten und zehn verschiedene Drogen an zehn verschiedenen Orten nehmen. Der Plan wurde aber rasch beendet, als das LSD am See nicht wirkte und wir die Woche drauf kein Meskalin für den Jahrmarkt auftreiben konnten. Auf jeden Tag schrieb ich zu dieser Zeit an irgendeiner Hausarbeit und wollte am nächsten Tag um sieben Uhr morgens aufstehen. Matti hatte noch eine beträchtliche Menge psychoaktiver Pilze übrig, die er in seinem Zimmer angebaut hatte. Wir alle waren ein bisschen deprimiert, weil das mit dem Zehn-Wochen-Plan nicht funktionierte und wollten es uns erst mal nicht mehr so heftig geben. Wir hatten an diesem Tag zwar trotzdem schon ein paar Adler geköpft, Matti aber brauchte so etwas wie einen krönenden Abschluss der ganzen Geschichte. Also zog er sich die restlichen Pilze rein, rauchte etwas Gras und trank dazu über eine halbe Flasche Absinth. Das legte bei ihm irgendwie einen anderen Gang ein, vor allem weil er dabei die ganze Zeit alleine war.

Ich erinnere mich nur noch, wie ich ihn in der Nacht Fussball spielen hörte. Er schoss einfach im Flur mit dem Ball gegen die Wand, dabei stürzten natürlich jedes Mal diverse Bierflaschen um und zerbrachen auf dem fleckigen Boden. Ich schreckte immer wieder auf, war aber zu träge, um ihn darauf hinzuweisen, dass das wirklich verdammt laut ist und ich einfach schlafen will. Er ließ halt auch selbst irgendwann davon ab.

Später wurde ich plötzlich von Schreien geweckt. Schreie eines Mannes, der in meinem Zimmer zu stehen schien. „Aaaaaarrrrggghhhh!“ Immer wieder diese Schreie. „Aaaaaarrrrggghhhh!“ – „Großer Gott“, dachte ich. Zunächst glaubte ich, die Geräusche kämen von draußen oder sonst irgendwoher, bis mir bewusst wurde, dass es Matti war, der im Badezimmer laut kotzte. Ich habe, glaube ich, noch niemals jemanden so laut kotzen hören. Es war einfach schrecklich, aber ich musste endlich schlafen.

Nach dieser Nacht, in der ich kaum ein Auge zugetan hatte, bewegte ich mich morgens um sieben ins Bad und nahm eine Dusche. Ich war selbst leicht verkatert und sah, erst als ich meine Zähne putzen wollte, dass das ganze Waschbecken vollgekotzt war. Matti hatte vergessen vorher den Stöpsel rauszuziehen und so stand die ganze Brühe bis zum Ablauf drinnen. Zum Glück hatten wir noch ein anderes Waschbecken, das ich benutzen konnte, aber es war schon verdammt schwierig nicht selbst gleich alles vollzureihern. 


Anschließend ging ich durch den total verwüsteten Flur in die Küche und wollte mir dort einen Tee machen, doch wie ich so den Wasserkocher im Spülbecken auffüllen wollte, sah ich sie plötzlich auf ranziges Edelstahl gebettet: zwei kleine, kompakte Würste.

„Was zur Hölle?“, dachte ich. „Was soll das denn bitte?“ Ich entschied mich kurzerhand außerhalb zu essen. Das war mir dann doch ein bisschen zu krass. Ich ging in die Bibliothek und arbeitete den ganzen Tag an meiner Hausarbeit. Doch diese verdammte Kacke ging mit einfach nicht mehr aus dem Kopf. „Was zum Teufel?“, dachte ich. „Waren wir nun an dem Punkt angelangt, an dem es nicht mehr weiter bergab gehen konnte? Sollten wir nicht endlich etwas an unserem Leben ändern? Oder hatte ich mich vielleicht einfach nur verguckt? War es wirklich Scheiße, was da im Spülbecken lag? Ich konnte es schon gar nicht mehr so richtig glauben.“

Am Abend rannte ich förmlich nach Hause. Ich stürmte das Treppenhaus hinauf und platzte in Mattis Zimmer. Es saßen mehrere Leute drinnen, doch ich unterbrach sie einfach in ihrem Gespräch und sagte: „Matti! Kann es sein, dass heute Morgen jemand in die Spüle geschissen hat?“ Er riss die Augen auf und erstarrte förmlich. Dann fing er an zu grinsen und sagte: „Ich hatte gehofft, es kriegt niemand mit.“

„Es kriegt niemand mit? Wie bist du überhaupt dazu gekommen, verdammte Scheiße?“

„Ich kann mich selbst kaum noch daran erinnern. Ich bin heute morgen wach geworden und hatte einen totalen Filmriss. Mir tat alles weh und mein Kopf war voll mit diesen ganzen wirren Traumbildern. Fiese Fratzen, die aus der Dunkelheit kommen und dich holen wollen. Und dann dieses Bild wie ich in die Spüle kacke – so wie in einem Traum, in dem dich alle dabei beobachten. Doch dann dachte ich: Warte mal. Mir tut meine rechte Arschbacke total weh und da hab ich erstmal nachgesehen und dann war das da…“ – Matti zog seine Hose runter und zeigte uns eine bestimmt fünfzehn Zentimeter lange Kratzspur – „Scheiße, dachte ich dann. Das war überhaupt kein Traum! Ich ging also in die Küche und dachte nochmal: Scheiße! Ich hatte gleich totale Panik, ihr würdet es mitkriegen und da hab ich beherzt zugegriffen und die kleinen Würstchen ins Bad getragen und sie ins Klo geworfen. Und das ist schon verdammt surreal, wenn man seine eigene Scheiße ins Klo trägt und runterspült. Das kann ich euch sagen. Als ich mich umdrehte und mir die Hände waschen wollte, hab ich erstmal mitgekriegt, dass ja das ganze Waschbecken vollgekotzt war. Ich hab natürlich alles wieder sauber gemacht. Allein schon, um meine Spuren zu verwischen, und hab so getan, als wäre nichts geschehen.“

Wir lachten alle beherzt, rauchten eine Bong und tranken ein schönes, kaltes Bier auf ex. „Tja, eigentlich ein Tag wie jeder andere“, dachte ich.




Was soll das eigentlich mit dieser Technomusik?


Sehr oft habe ich mit Leuten geredet, die von Musik sehr viel mehr verstehen als ich, mit elektronischer Musik aber überhaupt nichts anfangen können. Verzweifelt habe ich ihnen versucht nahezubringen, worum es bei dieser Musik eigentlich geht. Hier also ist ein weiterer Versuch.


Vergiss erstmal alles, was du über Musik weißt! Ein bloßes Zuhören genügt bei dem Verständnis von Techno nicht. Technomusik muss man erleben – zwischen tausend schwitzenden Leibern auf einer großen Tanzfläche, die sich unter stampfenden Füßen und donnernden Bässen zu heben beginnt. Techno muss man definitiv auf einer großen und guten Anlage hören. Die Töne und Bässe müssen die Luft erschüttern. Sie müssen durch Mark und Bein gehen. Techno ist eine physische Erfahrung. Jede einzelne Zelle in deinem Körper wird durch Luftschwingungen in eine gleichmäßige Bewegung versetzt.

Zudem ist Techno keine Musik, die traditionell in einem Klangkörper entsteht, sondern sie ist elektronisch erzeugt und sie hat die Bewegung von Stromflüssen zur Ursache. Strom wird durch verschiedene Bauteile verändert und umgeleitet, in Schwingungen oder Impulse verdichtet, bis sie schließlich durch das Soundsystem in Schallwellen übertragen werden.


 
Das allein ist schon ein faszinierender Prozess, wie ich finde. Elektronenschwärme schießen durch Leiter und Platinen der Maschinen und erzeugen in ihrem gleichbleibendem Kreislauf ein selbstorganisiertes System einer gesteuerten mikroskopischen Massenbewegung. Ein Dröhnen, ein Knallen, ein Knacken, ein Fiepen, ein Hauchen, ein Summen, ein Brummen. Sie alle entstehen in anderen Teilen des DJ-Pults, werden auch meist als einzelne Lines wiedergegeben und werden erst im Hirn des Zuhörers zu einem System höherer Ordnung zusammengefügt. Das fördert die Kreativität, da man für gewöhnlich mehr hört, als eigentlich da ist. Die Musik ist schneller als der Körper, der träge versucht der Technik hinterherzukommen. Man kann zu elektronischer Musik nicht tanzen, wenn man nicht versucht seine eigene Line zu finden, indem man Teile der Musik einfach wegkürzt oder teilweise ausblendet.

Techno wirkt meiner Meinung nach mehr als jede andere Musik in erster Linie unterbewusst. Die gleichmäßigen Takte sind wie Gebetsformeln, sie sind wie sich ständig wiederholende Mantras, die dich gerade durch das Offenbar-Werden ihres inneren Zykluses in eine Art Trance halten. Das ist so etwas wie elektronisch erzeugte Marschmusik, die aber nicht versucht menschliche Schritte darzustellen und den Marsch anzugeben, sondern das Treten auf der Stelle – der Tanz wird zu einer individuellen Bewegung um sich selbst und führt zu einer Form von Meditation, zu einem Ausdruck von Freiheit. Zu Technomusik kann man nämlich auch nicht falsch tanzen. Es ist einfach alles möglich. Man kann alles und man darf auch alles. Das ist auch das Witzigste daran. Es ist deiner Fantasie überlassen, welche Töne du dir herauspickst und in eine Bewegung umsetzt.


Die Musik lässt den Raum erbeben und erschafft somit eine Eizelle geordneten wie chaotischen Treibens. Du kannst dich darin immer auf die gleichmäßigen Rhythmen verlassen, die teilweise vielleicht etwas monoton erscheinen, die aber dennoch Spaß machen, weil sie erspürbar sind. Man kann die Übergänge fühlen, bevor sie da sind. Man fühlt sie wenige Momente bevor sie passieren, auch wenn eigentlich alles passieren könnte, weiß man, dass ein Höhepunkt kurz bevorsteht – das ist wie bei einem Orgasmus – und diese Höhepunkte sind wie Orgasmen, die aneinandergereiht, alle Anwesenden an einer anhaltenden Orgie teilhaben lässt und ihnen einen kollektiven, zeitgleichen Orgasmus beschert. Das sind Glücksgefühle einer neuen Größenordnung. Das Mischpult wird unter der Hand des Meisters zur Schaltfläche von Gefühlen, von Ekstase, von Ordnung und Chaos, von Zuspitzung und konzentrischen Kreisen, die die Leiber vor ihm in ständiger Bewegung halten.

Die innere Bewegung der Zellen, die elektronische Reizüberflutung, der voranschreitende Marsch, die kollektive Trance – das alles führt vor allem in Verbindung mit chemischen Drogen zu ungeahnten Höhenflügen und ins Endlose führenden Ausschweifungen. Drogen sind sowieso total wichtig, um elektronische Musik zu verstehen. Ich weiß auch gar nicht, warum ich sie er jetzt erwähne, schließlich habe ich früher mit Trance-Musik zum Beispiel überhaupt nichts anfangen können, bis ich mir Ecstasy geklinkt hatte und mir anschließend das Spektakel reinzog. Da erst habe ich begriffen, dass Trance letztlich nur die Wirkung von Ecstasy abzeichnet. Es ist quasi die Musik zum Film. Die ganzen Hoch- und Tiefs waren mir früher einfach zuviel gewesen, aber mit ein bisschen Ecstasy macht das nun endlich alles Sinn. Ich kann es nur empfehlen. Es ist wirklich ein Erlebnis – ja generell bildet elektronische Musik in Verbindung mit chemischen Drogen eine direkte Schnittstelle zum auf elektro-chemischen Prozessen funktionierendem Nervensystem. Es ist die Musik der Maschinenelfen, die uns durchdringt und uns für kurze Zeit zu einer anderen hybridartig, cyborgisierten Spezies verwandelt, die das menschliche Dasein in erster Linie als ein emotionales Ineinanderwirken begreifen lässt. Auf dem Dancefloor kann man eine emotionale Erleuchtung erlangen oder eben auch total verblöden. 




 





DJ Knalltüte sagt:

Die Kunst besteht darin verstanden zu werden.
…und deswegen ist jeder Mensch ein Künstler, dem es nur irgendwie gelingt verstanden zu werden. Aber er ist auch nur dann ein Künstler wenn es ihm gelingt.
Ein sachliches Verständnis ist eher einfach.
Dafür braucht es ist keine große Kunst. Aber doch schon eine Kleine.
Schwieriger ist es in seinem Empfinden verstanden zu werden.
Dafür braucht es große Kunst und einen großen Künstler.
In jedem Fall aber benötigt ein Künstler Einfühlungsvermögen und er muss verstanden haben dass er sich selber mühen muss, um verstanden zu werden.
Am Unverstandensein ist man immer ganz alleine Schuld.
Weil es aber so leicht ist dem Anderen dafür die Schuld zu geben, ist es so schwer ein Künstler zu sein.
                                                                                                                                   (DJ Knalltüte)